Samstag, 24. Januar 2009
 
Italien: Nessuna firma ci ferma! PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Alexander Muth   
Donnerstag, 21. Juni 2007

Ronald Spogli ist Investmentbanker aus Los Angeles und US-Botschafter in Italien. Von ihm erfuhr die italienische Öffentlichkeit am 14. Juni, daß die USA von der italienischen Regierung die schriftliche Genehmigung für den Bau eines in Vicenza geplanten neuen Militärflughafens erhalten habe. Die Mitteilung fiel am Rand des sogenannten Pressetages, den die US-Streitkräfte, zusammen mit den italienischen, regelmäßig für die italienische Presse abhalten.

Die Nachricht schlug in Italien wie eine Bombe ein, besonders aber die Tatsache, daß sich bis dahin niemand von der Regierung bemüßigt gefühlt hatte, die Öffentlichkeit zu informieren.

Die organisierten GegnerInnen des Vorhabens, die seit Monaten einen Bereich in der Nähe des Eingangs des bereits bestehenden zivilen Flughafens besetzt halten und dort ein sogenanntes presidio permanente (eine Dauer-Mahnwache) eingerichtet haben, reagierten blitzschnell. Um 22 Uhr desselben Tages fand im presidio ein Plenum statt, an dem laut Carta Hunderte Leute teilnahmen. Noch vor 23 Uhr besetzten, der Tageszeitung il manifesto zufolge, etwa 700 AktivistInnen einen Teil des geplanten Kriegs-Flughafens, der Zaun wurde aufgerissen, eine Landebahn in Beschlag genommen und auf einem riesigen Spruchband war zu lesen: Nessuna firma ci ferma! (Uns hält keine Unterschrift auf)

Die Blitzaktion war die erste Besetzung und sollte, laut Olon Jackson, einem Sprecher der Bewegung und Aktivisten eines Vicentiner centro sociale, als „demonstrativer Akt“ dienen und als „nachdrücklicher Hinweis“ darauf, daß es keine Kompromisse geben werde.

Man sei von der Regierung belogen worden, teilte Cinzia Bottene, die bekannteste Sprecherin der Bewegung, mit. Noch vor kurzem sei ihr mitgeteilt worden, es gebe keine Genehmigung für den Beginn der Erweiterungsarbeiten.

Auch Elettra Deiana, stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Abgeordnetenhaus, geht mit der Regierung hart ins Gericht: „Einige Monate lang schon ging das Gerücht, es gebe da ein Regierungsdekret. Aber sowohl Parisi (Verteidigungsminister, AuO) als auch (Staatssekretär) Letta haben das in Abrede gestellt. Das ist die neueste Lüge in einer langen Reihe von Lügen, wenn jetzt bekannt wird, daß Prodi (Botschafter) Spogli eine schriftliche Zusage erteilt hat.“

Mit welch unglaublicher Arroganz sich die Regierung Prodi zu den Forderungen der Bevölkerung verhält, stellten die Basis-GegnerInnen auf einer Pressekonferenz im Detail dar, die parallel zum „Pressetag“ der Militärs stattfand. Aus einer Stellungnahme von Prodis Pressesprechers Silvio Sircana, die von den Aktivisten vorgelesen wurde, gehe hervor, daß die Regierung die Proteste als völlig nutzlos ansehe. Italien habe sich derzeit mit weitaus wichtigeren Problemen zu befassen, als mit der Erweiterung einer Kaserne. Die Autorisierung des ursprünglich mit der Berlusconi-Regierung vereinbarten Projektes wurde daraufhin von Prodi zu zwei verschiedenen Zeitpunkten bestätigt: im Januar und im Mai dieses Jahres. Bereits am 16. Januar hatte Prodi bekräftigt, er werde der Realisierung des Projekts nichts „in die Wege legen“. Am 9. Juni, beim Besuch von George W. Bush in Rom, gegen den 150.000 Menschen demonstrierten, wurde das Ganze schließlich offiziell besiegelt.

Zwei Wochen lang, bis zur Erklärung Spoglis am 14. Juni , schwieg also die italienische Regierung. Allerdings hat Prodi einen Sonderbeauftragten für den „Dialog“ mit den lokalen Gruppen angeboten,

Carta zitiert Stellungnahmen aus dem presidio: „Diese Regierung ist wirklich das letzte, sie hat nicht einmal den Mut zu sagen, daß der Vertrag schon vor einem Monat abgeschlossen wurde. Sogar gegenüber den BasisgegnerInnen unter den Abgeordneten hatte Minister Parisi vor zehn Tagen behauptet, es sei von der Regierung keine schriftliche Genehmigung erteilt worden. Der neue Regierungssprecher ist nicht mehr Sircana, sondern der amerikanische Botschafter.“

Aber es fallen noch viel schärfere Statements: „Eins muß klar sein, wir werden nicht nachgeben. Da müssen sie schon wie in Südamerika vorgehen, da muß Prodi das Heer auf die Bürger loslassen, damit er seine Basis bauen kann.“

Am Tag darauf war ein Besuch Prodis in Padua angesagt. Aber die ebenso angekündigte Präsenz einer Protestdelegation aus Vicenza – mit ihren lärmenden Töpfen nach südamerikanischem Vorbild – dürfte den Regierungschef bewogen haben, fernzubleiben. „Der wird sich hüten noch einmal ins Veneto zu kommen“, meint man im presidio.

Beinahe 500 Millionen Euro wird das ganze Projekt kosten. Darin enthalten sind 325 Millionen Euro, die unter anderem für die Unterkünfte der Soldaten desjenigen Stützpunktes bestimmt sind, der, neben Aviano, eine der zentralen Kriegsbasen Europas sein wird. Die bereits jetzt 2.750 Mann umfassende US-Truppenstärke in Vicenza werde auf insgesamt 4.500 aufgestockt werden, berichtet auch der Corriere della Sera.

Laut General Helmick, dem Kommandanten der bereits seit langer Zeit in Vicenza bestehenden kleineren Caserma Ederle, seien die 325 Millionen Euro für die Mannschaftsgebäude von der US-Regierung bereits bewilligt. Für Renovierungen sowie weitere Neubauten sind zusätzliche 150 Millionen Euro vorgesehen.

Zum Lügen-Terror kommt der Atom-Terror. Einige Tage vor dem Spogli-Bericht kam an die Öffentlichkeit, daß der künftige Stützpunkt auch eine Rolle im europäischen Nuklearkrieg haben soll. Zusätzlich zu den 90 bereits in Italien lagernden Atombomben – sie sind auf die Basen Aviano und Ghedi Torre bei Brescia verteilt, wie bereits vor zwei Jahren das US-amerikanische Natural Resources Defense Council dokumentiert hat –werden im künftigen Militärstützpunkt Dal Molin (der nach einem berühmten Piloten der Mussolini-Ära benannt ist) bakteriologische, chemische und nukleare Waffen gelagert werden. Das fand ein Technikerteam im Auftrag des presidio permanente heraus, wie ilmanifesto am 8. 6. berichtete. Insgesamt sei die Errichtung von vier Gebäuden im Süden der Basis vorgesehen, in denen sich jeweils fünf Großdepots für die „NBC storage“ befinden werden. Im Inneren der Gebäude sollen regelrechte Dekontaminierungsanlagen entstehen. In den italienischen Plänen war bisher immer nur von „biochemischen Depots“ die Rede. Eine offenbar falsche Übersetzung von „NBC“: nuklear, biologisch und chemisch. Auf das gezielte Manöver, mit Hilfe von falschen Übersetzungen, Desinformation herzustellen, macht Guglielmo Vernau aufmerksam, einer der Aktivisten des Techniker-Teams des presidio. Die Amerikaner hatten bisher immer in Abrede gestellt, daß im künftigen Stützpunkt gefährliche Substanzen gelagert würden.

Die Bewegung gegen Dal Molin ist eine Massenbewegung, die sich mit der Bewegung im Val di Susa gegen den Hochgeschwindigkeitszug, der Bewegung No Mose in Venedig gegen die superteure Einschließung der Lagune durch ineffiziente Hochwasserbarrieren und anderen Bewegungen in anderen Landesteilen vor kurzem zu einem gegenseitigen Mobilisierungspakt zusammengeschlossen haben (http://www.pattomutuosoccorso.org/); als gegen die NATO- und US-Präsenz gerichtete Bewegung ist sie wiederum einer der Brennpunkte antiimperialistischer Mobilisierung in Europa neben den Antikriegskräften in Polen und Tschechien.

Über die „linke“ Regierung machen sich die Basis-AktivistInnen keine Illusionen mehr. Sprecherin Cinzia Bottene: „Es läuft wohl darauf hinaus, daß zwischen Prodi und Berlusconi überhaupt kein Unterschied mehr besteht“.

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